
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN ZEITUNG:
„Bei der Offshore-Windenergie ist echt der Wurm drin!“
Rüdiger Kipke ist ein weltweit tätiger Gutachter und Berater für die Windenergie. Die Ausbaupläne der Bundesregierung auf See bis 2030 hält er für völlig unrealistisch.
Zur Person
Rüdiger Kipke, Jahrgang 1968, gehört hierzulande zu den erfahrensten Beratern und Gutachtern in der Windbranche. Der gebürtige Lüneburger
hat nach eigenen Angaben in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten mehrere Tausend Megawatt an Turbinen-Liefer- und Serviceverträgen
verhandelt, onshore wie offshore, und an die 1.000 Anlagen auf See selbst inspiziert. Die Expertise des selbstständigen Beraters
ist auf allen Kontinenten, auf denen oder vor deren Küsten Windanlagen errichtet worden sind, gefragt.
E&M: Herr Kipke, die Ampelregierung plant für das Jahr 2030 eine installierte Offshore-Windleistung von 30.000 Megawatt. Ist dieses Ziel angesichts einer bislang installierten Kapazität von rund 9.000 Megawatt realistisch?
Kipke: Dieses kurzfristige Ziel zu erreichen, ist völlig unrealistisch.
E&M: Warum?
Kipke: Die Planungs- und Genehmigungsprozesse für Windparks auf See sind weiterhin immens lang und viel zu bürokratisch, auch die Refinanzierung der Milliardeninvestitionen über Power Purchase Agreements wird immer wackeliger. Bis ein Offshore-Windpark hierzulande von den Behörden grünes Licht erhält, vergehen Jahre. Bis dahin müssen beispielsweise die Investoren sinnfrei immer wieder Fische und Säugetiere zählen. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch viel, viel Geld.
Es gibt aber noch einen weiteren gewichtigen Grund, warum sich alle Ausbauziele auf See in Luft auslösen werden: Es gibt viel zu wenige Anlagen für all die Projekte auf dem Markt, zumal der GE-Konzern mittlerweile als Anbieter ausfällt. Über fehlende Häfen, Kajen für die Zwischenlagerung der Großkomponenten und Fachkräfte reden wir erst gar nicht.
E&M: Warum gehen Sie davon aus, dass es zu wenige Offshore-Windenergieanlagen aus europäisch-amerikanischer Produktion für den deutschen Markt geben wird?
Kipke: Nachdem bei zwei Offshore-Windparks in den USA und Großbritannien Schäden an den GE-Maschinen schon in der Bauphase aufgetreten sind, scheuen sich Investoren verständlicherweise vor weiteren Bestellungen. Auf dem deutschen Markt ist GE bereits seit dem vergangenen Jahr nicht mehr präsent. Kürzlich hat der GE-Konzern die Entlassung von 900 Mitarbeitern in seiner Offshore-Windsparte angekündigt, was auch kein gutes Zeichen ist.
Zuvor hatte GE die angekündigte 18-Megawatt-Anlage zurückgezogen, mit der viele Entwickler ihre zukünftigen Offshore-Parks geplant hatten. Die dann als Krücke angebotene Turbine mit einer Leistung zwischen 15 und 16 Megawatt erwies sich als reine Papieranlage, diese Planung ist ebenfalls vor einigen Wochen zurückgezogen worden. GE kann Stand heute nur sein Haliade-Modell mit 13 Megawatt Leistung und 220 Meter Rotordurchmesser anbieten, das im Vergleich zu Siemens Gamesa und Vestas nicht konkurrenzfähig ist.
E&M: Wenn GE wirklich ausfällt, können chinesische Hersteller diese Lieferlücken füllen?
Kipke: Ich hoffe es, denn Siemens Gamesa und Vestas können die Produktion in ihren Werken nicht so schnell hochfahren. Ich hatte jahrelang aus Qualitätsgründen massive Bedenken gegen die Offshore-Windanlagen aus China, bin von dieser Haltung aber abgerückt. So kommen sowieso beispielsweise über 90 Prozent aller Komponenten für die GE-Anlage aus China. Ohne Anlagen aus dem Reich der Mitte sind alle Ausbauziele auf See − sowohl in Deutschland als auch vor anderen europäischen Küsten − nicht zu erreichen.
Wir brauchen wieder mehr Wettbewerb auf dem Anbietermarkt. Das Duopol aus Siemens Gamesa und Vestas diktiert den Investoren mittlerweile knallhart die Verträge, sodass sich die Betreiber gezielt nach Alternativen umschauen. Dass Luxcara sich für das Projekt ‚Waterkant‘ (im Borkum-Cluster; d. Red.) für Turbinen von Ming Yang entschieden hat, ist kein Zufall. Die vereinbarte Lieferung über 18 Anlagen ist für mich erst der Anfang gewesen. Auch der Chef von RWE Offshore, Sven Utermöhlen, hat auf Linked in offen gepostet, dass er bei Ming Yang gewesen ist.
E&M: Und was ist mit der Qualität und der Schadenshäufigkeit chinesischer Offshore-Windturbinen?
Kipke: China hat deutlich aufgeholt. Und nicht nur das. Mit der Qualität der Anlagen, die in der deutschen Nord- und Ostsee in Betrieb sind, ist es nicht zum Besten bestellt. Niemand macht sich eine Vorstellung über die hohe Zahl der Schäden. Bei der Offshore-Windenergie ist echt der Wurm drin! Es gibt Hunderte von Kleinigkeiten, die immer wieder ausfallen. All das zu reparieren, kostet ein Heidengeld. Denn die Offshore-Windmühlen sind nicht mal eben mit einem Servicewagen um die Ecke zu erreichen. Bei den vielen Schäden fehlt einfach jegliche Transparenz, weil die Offshore-Windparks weit draußen auf See stehen.
E&M: Woran liegt das? Sind die Anlagen zu schnell zu groß geworden?
Kipke: Das bringt es auf den Punkt. Hinzu kommen massive Qualitätsprobleme bei der Fertigung. Unter Kostendruck haben die Hersteller vor etwa einem Jahrzehnt begonnen, die Fertigung vieler Komponenten nach Osteuropa oder auch nach Spanien und Portugal auszulagern. Diese Masse an Komponenten aus diesen Zuliefererländern kann kein Hersteller mehr kontrollieren. Die Fertigungsüberwachung funktioniert längst nicht mehr, was eine Erklärung für die große Zahl der Schäden ist.
E&M: Wann hört der Immer-größer-immer-leistungsstärker-Wahn auf?
Kipke: Ich nehme schon wahr, dass in ersten Entwicklungsabteilungen ein Umdenken eingesetzt hat. Die Erkenntnis, dass beispielsweise ein Megawatt mehr an Leistung oder zehn Meter plus beim Rotordurchmesser nicht automatisch einen Sprung bei der Wirtschaftlichkeit bedeuten, setzt sich langsam durch.
Meines Erachtens wäre viel gewonnen, wenn die vorhandenen Anlagen wirklich zu Ende entwickelt würden. Das Ziel müssen ausgereifte Anlagen sein. Denn die Kosten für die Reparaturarbeiten bei Offshore-Windanlagen sind einfach nicht mehr bezahlbar. Wir werden erleben, dass so mancher Investor und Betreiber bereits in nächster Zeit versuchen wird, seinen Windpark auf See abzustoßen.
E&M: Warum?
Kipke: Die Investoren wissen immer weniger, mit welchen Einnahmen sie rechnen können. Bei Projekten, die noch unter die alte fixe EEG-Vergütung fallen, sieht das etwas anders aus. Aber insbesondere bei allen Projekten, die mit einem Null-Cent-Gebot einen Zuschlag bei der Ausschreibung bekommen haben, wackelt die Wirtschaftlichkeit. Denn es gibt keinen funktionierenden Markt für Power Purchase Agreements. Die Preise, die derzeit für PPA zu erzielen sind, reichen nicht aus. Wir erleben immer mehr Tage mit großer Wind- und Solareinspeisung an Land, an denen Strom von der See gar nicht benötigt wird. Mit stillstehenden Anlagen lässt sich nun mal kein Geld verdienen.
Eine Lösung für dieses Problem könnten die Contracts for Difference sein, die so etwas wie eine Mindestvergütung vorsehen. Bis diese CfD-Regelung, die von der EU in Brüssel beschlossen worden ist, hierzulande umgesetzt sein wird, dauert es noch.
Die unsichere Situation bei den Einnahmen wird für die Betreiber noch durch die immensen Summen erschwert, die für die dauernden Reparaturen zu zahlen sind. Ich bezweifele stark, dass diese Kosten richtig in den Finanzmodellen abgebildet sind. Ich kann mich nur wiederholen: Bei der Offshore-Windenergie ist der Wurm drin!
E&M: Zurück zur Eingangsfrage: Wie hoch wird die Offshore-Windleistung Ende dieser Dekade sein?
Kipke: Schwer zu sagen. Offen ist derzeit, ob es die mit 12,5 Milliarden Euro völlig überzahlten Projekte von BP und Total Energies überhaupt geben wird. Dann sind allein 3.500 Megawatt, die die Bundesregierung gerne am Netz sähe, weg. Mir ist aber schleierhaft, wie sich diese Vorhaben rechnen sollen. Mit den aktuellen Preisen für die Windkraftanlagen, Fundamente und Installationslogistik wird das zumindest sehr sportlich.
Wenn wir bis Ende 2030 über eine Seewindkapazität zwischen 15.000 und 20.000 Megawatt verfügen, ist das schon eine anerkennenswerte Leistung. Von den Fehlern, die derzeit en masse gemacht werden, sollten Windbranche und Politik für eine Offshore-Windoffensive mit Beginn der 2030er-Jahre lernen.
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Offshore-Berater und Gutachter Rüdiger Kipke
Quelle: Privat
Quelle: Privat
Ralf Köpke
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Donnerstag, 07.11.2024, 09:15 Uhr
Donnerstag, 07.11.2024, 09:15 Uhr
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